> Liebe FreundInnen Freien Radios,

das Freie Sender Kolleg geht Ende Oktober mit einem reizvollen
Expeditions-Wochenende in seine dritte (und letzte) Runde. Wir würden
uns freuen, wenn Euch unser Workshop "Die Stadt hören" Gelegenheit für
eine kleine Hamburg-Reise bieten würde. Dass es spannend wird
versprechen wir :)!

Bis bald & viele Grüße
Tini fürs FSKolleg


Die Stadt hören

Ein Workshop-Wochenende mit acht Expeditionen
Von Freitag, dem 30. Oktober bis Sonntag, dem 1. November 2009 im Freien
Sender Kombinat, Hamburg und im öffentlichen Raum der Stadt.

Situation
In wenigen Städten der BRD war die Entwicklung der Stadt so umkämpft wie
in Hamburg. Hafenstraße, Rote Flora und Park Fiction erinnern daran –
doch in den letzten Jahren war es verhältnismäßig ruhig geworden. Das
Konzept der wachsenden Stadt, das der CDU-geführte Senat seit 2002
verfolgt, ist nicht mehr gründlich herausgefordert worden.
Seit einiger Zeit gelangen immer mehr HamburgerInnen zur Überzeugung,
dass dies nicht so bleiben darf. In St. Pauli-Süd rumort es, an
verschiedenen Orten fordern KünstlerInnen Räume, im Schanzenviertel
organisiert sich ein neues Stadtteilzentrum. Zugleich scheint ein
spezifisches Wissen über die Stadt, um einzelne Straßenecken und deren
Geschichte ebenso in Vergessenheit geraten zu sein, wie auch die
Radikalität, mit der aufgrund der kapitalistischen Wohnsituationen die
Gesellschaft im Ganzen einmal kritisiert worden ist. Und die Vision
einer völlig anders funktionierenden Stadt ist fast gänzlich verschütt
gegangen.

Vorschlag
Das FSKolleg will dieses Wissen aktivieren. Am letzten Oktoberwochenende
sollen acht parallele Workshops der Vergesslichkeit entgegenarbeiten und
eine neue Handlungsfähigkeit eröffnen. Als erster Schritt sollen die
Erinnerungen hörbar gemacht werden. Dazu arbeiten alle Workshops mit
einem von dem Berliner Künstler Udo Noll entwickelten Werkzeug, mit dem
sich die Stadt akustisch kartieren lässt (http://aporee.org/maps/) –
eine neue Form des Internetradios: Akustische Momente lassen sich an den
Orten ablegen und immer wieder anhören. Ort und Klang verbinden sich und
machen lokales Wissen hörbar. (Mehr zu Radio Aporee siehe unten) In der
Verbindung von Internet und Radio, Archiv und Echtzeit-Ausstrahlung
eröffnen sich Möglichkeiten, die wir ein Wochenende lang (und darüber
hinaus!) ausloten wollen.
Die acht Workshops entwickeln verschiedene Zugänge: Sie nähern sich dem
städtischen Raum künstlerisch, über seine postkoloniale Geschichte,
stadtethnologisch, politisch, akustisch. Es geht darum, hörbar zu
machen, was in der Stadt nicht sichtbar ist. Wir wollen in der
momentanen Situation ein Werkzeug an die Hand geben, das die
unterschiedlichen Kämpfe um öffentlichen Raum an den verschiedenen Ecken
der Stadt vervielfältigen könnte.

Acht Workshops Die Stadt hören

Ortsbegehung
Mit Jens Röhm, Audio Researcher
Kathrin Wildner, Stadtethnologin

Die akustische sowie die ethnographische Analyse beschreiben jeweils den
städtischen Raum. An verschiedenen Positionen, zu
unterschiedlichen Zeiten und aus wechselnden Erfahrungen heraus fragen
sie nach den Elementen eines Ortes und weitergehend nach der urbanen
Konstruktion überhaupt. In dieser Dichten Beschreibung werden aus der
Materialität der Stadt die historischen, sozialen und diskursiven
Dimensionen herausgelöst und akustisch wahrnehmbar.
http://www.gflk.de/de/08assoziiertes/08.1assoziiertes/urbane_leerstellen.php


Buchen und Birken: Über die Ökonomie des Verschwindens.

Was ist das Geräusch des Ausbüchsens, der Ton des Abhauens? Wie fühlt
sich das Davonkommen an? Und wo haut man am besten in den Sack? Kann das
Verschwinden eine widerständige Strategie sein? Und wie schafft man es,
sich zu verweigern, indem man einfach dort bleibt, wo man gerade ist?
Unsere Untersuchung befasst sich mit Orten, Geräuschen und Geschichten,
die sich auf der Elbinsel zwischen Harburg und Hamburg abgespielt haben.
Dabei geht es auch um Historie, vor allem allerdings darum,
oppositionelle Erfahrungen vor dem Erfrieren zu retten. Bei dieser
Gelegenheit wird der Marktplatz zum Ort der Zirkulation solcher
Erfahrungen umfunktioniert.

My Wonderful Geo-Story
Untersuchung des imaginären Terrains der Neuen Mitte Altona.
Mit Christiane Wehr und Ulf Treger

Durch die geplante Verlegung des Bahnhof Altona ensteht das bedrohliche
Szenario einer tiefgreifenden Umstrukturierung des Zentrums von Altona.
Eine futuristische Spurensuche mittels Kartographie, Landvermessung und
Datensammlung.

Echos unter der Weltkuppel
Eine unerhörte Sounderkundung am und im Uni-Hauptgebäude
Mit Hannimari Jokinen, bildende Künstlerin und Gordon Uhlmann, Historiker

Hamburgs Stadtraumausprägung folgte stark und lang anhaltend kolonialen
Impulsen mit weiter wirkenden Strukturen, Schichten, Spuren - und
unüberhörbaren, dennoch unerhörten und überhörten Echos. Im urbanen Raum
finden sich koloniale Bedeutungssphären bis heute - amtlich verlautbart
- verklärt oder verdrängt, gar restituiert. Der „vergessliche“ Umgang
mit den unerhörten Folgen kolonialen Handel(n)s für Hamburgs
Stadtcharakter ist Kernbestandteil von Regierungspolitik, öffentlichem
Selbstverständnis und Marketing des Stadtstaats, seiner tonangebenden
Entscheidungsträger und Institutionen. Das organisierte Vergessen ist
bisweilen laut bis lärmend, so zielt es darauf ab, aufbegehrendes
Erinnern zu übertönen und stumm zu machen.
Wie und wo treffen wir auf jenes Rauschen des Mythos vom „Tor zur Welt“?
Wer gibt den Ton an im zentralen universitären Raum, einst gegründet als
Kolonialinstitut? Was vernehmen wir im Gewölbehall kolonialer
Mythen-Bildung? Hören wir das Gedächtnisecho jener, die kolonisiert,
abgewiesen, vertrieben wurden von der imperial ausgreifenden
Handelsstadt? Einen Widerhall der Widerständigen, Aufbegehrenden,
Aufständischen? Postcolonial universum rumours?
In gemeinsamer Sounderkundung und Gebäudekartierung hören wir in diesen
vielstimmigen Raum hinein. Zusammen decodieren wir seine Ecken und
Nischen - und versuchen, im vorgefundenen Gewölbe Unerhörtes zu erinnern.
www.afrika-hamburg.de
www.wandsbektransformance.de

widerständige orte verdrängte vergangenheit
Mit Margit Czenki und Christoph Schäfer

Nach Jahren der Ruhe, der Umstrukturierung, der Aufwertung und der
Verdrängung, gibt es plötzlich eine Vielzahl widerständiger Orte in
Hamburg. Stellt mit uns eine Karte akustischer Zeitschichten,
verschwundener urbaner Erfindungen und neuer umkämpfter Räume her!

Memory Mapping
Mit Annette Stahmer

Hamburg-Hauptbahnhof
Ich laufe die Rolltreppe herunter, mein Bruder ist dicht hinter mir, ich
erreiche die S-Bahn, ich springe in den Zug, die Türen schließen sich,
mein Bruder ist draußen geblieben, der Zug fährt an, ich bin allein, ich
bin verloren.
Erinnern wir uns, so tauchen oft einzelne kleine Szenen vor unserem
inneren Auge auf. Diese Art von »Urszenen« sagen nicht selten etwas über
ein Grundgefühl aus, das für uns in dieser Zeit und an diesem bestimmten
Ort vorherrschte.
Ich möchte in dem Workshop die Orte verschiedener Szenen aus meinem und
aus dem Gedächtnis meiner Mutter in Hamburg aufsuchen und dort die
Erinnerungen mit dem akustischen Material, das der jeweilige Ort heute
liefert, verbinden. Die Workshopteilnehmer sollen aufgefordert werden,
selbst solche Szenen zu erinnern, sie zu verorten, aufzusuchen und dort
Klangmaterial zu sammeln.

Freihafen
Mit Gustave Inc. & Co.

Ein Knotenpunkt im Freihafen - täglich kreuzen sich hier die Wege
tausender Menschen und Güter. Was erzählt dieser Ort von den Menschen
und ihren Beziehungen? Von den Bedingungen, unter denen die Güter
erzeugt werden? Was von den Kämpfen - und was von den Niederlagen? Eine
auch strategische Ortserkundung.


Gentrification hörbar machen
Mit dem Musiker, DJ und Klangmonteur Sven Mikolajewicz auf Soundsuche

Unser Workshop begibt sich auf akustische Spurensuche der
Gentrifizierungsprozesse zwischen Nobistor und Gängeviertel, wir sammeln
Stimmen, Geräusche und Musik und unser Ziel ist, mit Montage, Loops und
Verfremdung den Klang der Aufwertung dieser für die Stadtentwicklung so
wichtigen und wertvollen Räume hörbar zu machen und für Radio Aporee zu
dokumentieren.

Bedingungen
Es gibt keine Voraussetzungen für die Teilnahme, außer Interesse, Zeit
und der FSK-Fördermitgliedschaft. Die Workshops entfalten einen Raum, in
den jeder und jede ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Erinnerungen
einbringen kann. Wir bitten nur um eine Anmeldung unter
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. oder per Post an die Adresse FSK Freies Sender Kolleg,
Eimsbüttler Chaussee 21, 20259 Hamburg, Stichwort „Die Stadt hören“. Wer
schon weiß, bei welchem der sieben Workshops sie oder er teilnehmen
möchte, kann das bei der Anmeldung gerne angeben.

Zeit und Ort
Freitag, 30.10., 18 Uhr: Treffen im Freien Sender Kombinat zur
Einführung in die Arbeit der kommenden Tage, Verteilung in die Gruppen,
Diskussion der Möglichkeiten
Samstag, 31.10., Sonntag, 1. November: Treffpunkte und Zeiten je nach
Vereinbarung
Sonntag, 1. November, 15 – 17 Uhr: Sendung der Arbeiten aus den Workshops.

Das Workshopwochenende ist Teil des Freien Sender Kollegs, einer
Veranstaltungsreihe des FSK mit Seminaren, Vorträgen und Workshops. Im
November beginnt das dritte Trimester des Kollegs, das vollständige
Programm kommt in wenigen Tagen.

Radio Aporee
Das seit 2007 realisierte Klang-/Kartographie-Projekt radio aporee
(http://aporee.org/maps/), ist ein offenes Archiv geographisch
verorteter Klänge (field recordings, Sounds, Sprache), mit derzeit fast
5000 internationalen Beiträgen.

Über die Aspekte eines Klangarchivs hinaus thematisiert radio aporee
einen erweiterten öffentlichen Raum, der durch die Überlagerung der
digital vermittelten Ebenen des Internet mit den realen sozialen,
urbanen und natürlichen Lebensräumen entsteht:

Diese hybriden Räume entwickeln und strukturieren sich durch die
zunehmende Verbreitung und Nutzung mobiler Geräte, insbesondere
Mobiltelefonen mit GPS-Funktion und schnellem Internetzugang. Mittels
dieser Technologien verbindet sich der momentane Aufenthaltsort im
konkreten Raum mit den virtuellen Räumen des Internet. Dies wird die
Bedeutung von Orten, Orientierung und Navigation verändern. Die mobilen
Geräte werden zur Erweiterung der natürlichen Funktionen des
menschlichen Körpers, der als Schnittstelle zwischen Medium und Ort Teil
eines neuen, beweglichen Netzes wird.

Zweifellos werden Märkte und Medien den mobilen Konsumenten am Ort des
Geschehens lokalisieren. Location based advertising gilt als Markt der
Zukunft, vor dem Hintergrund, dass die Nutzung des Internet bereits in
wenigen Jahren überwiegend mobil erfolgen wird.

Es stellt sich die Frage, wer Zugang zu diesen Räumen hat, welche
Handlungs- und Gestaltungsspielräume, jenseits kommerzieller Interessen
und Vereinnahmumgen, innerhalb dieser neuen Öffentlichkeit möglich sind.