Die sogenannten "komplementären Radios mit Veranstalterkonzession" der Schweiz treten aus ihrem Dach-Verband UNIKOM aus. Das verwundert, da die Union nicht-gewinnorientierter Lokalradios als ihre Interessenvertretung gegründet wurde. Doch nun sei "das Vertrauensverhältnis der komplementären Radios [....] gegenüber dem Vorstand der UNIKOM [...] nicht mehr vorhanden." heißt es in der Pressemeldung von Kanal K, Radio 3FACH, Radio RaBe, Radio Rasa, Radio Stadtfilter und toxic.fm vom 11.09.2023. Um was geht es?
Seit 1. April 2007 teilt sich die Landschaft der Hörfunkveranstalter in der Schweiz nach ihrem Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) in Hörfunk-Programme mit "nur Meldepflicht" und Programmveranstalter, die eine sogenannte Konzession benötigen. Die Konzession oder Lizenz benötigt man, wenn man beispielsweise eine UKW-Frequenz bespielen möchte oder einen besonderen "Leistungsauftrag" hat. In der deutschen Medien-Landschaft ist das Rechtsmodell unter dem Namen "Führerschein-Modell" bekannt. Dabei wird getrennt zwischen einer allgemeinen Zulassung als Programmveranstalter und der direkten Zuweisung einer Übertragungskapazität wie z. B. einer UKW-Frequenz.
Die Idee des Führerschein-Modell wurde mit der Digitalisierung unter Regulierern populärer. Man versucht so Radio- und Fernsehgesetze technologieneutral zu formulieren. In der Schweiz sind beispielsweise seit der Gültigkeit des aktuellen Gesetzes auch Podcast-Kanäle meldepflichtig, sobald sie eine festgelegte Reichweite übersteigen. Das Ziel ist gesetzliche Gleichstellung zwischen Programmen, die auf herkömmlichen Wegen übertragen werden und Programmen, die im Internet verbreitet werden.
Für komplementäre, nicht gewinnorientierten Radios genügt nicht die einfache Anmeldung. Diese Veranstalter benötigen eine Lizenz, weil sie nach dem Schweizer Mediengesetz den Auftrag haben, die sprachliche und kulturelle Minderheiten in ihrem Sendegebiet zu präsentieren. Im Gegenzug erhalten sie ein besonderes Zugangsrecht: Die Betreiber von DAB+-Plattformen und Kabelnetzen müssen ihre Programme verbreiten. Derzeit haben sie auch noch Konzessionen für UKW-Frequenzen.
Geänderte Mehrheiten mit der digitalen Disruption
Der Dachverband UNIKOM wurde ursprünglich von diesen konzessionierten FM-Radios gegründet - also Radios mit Lizenz oder Zuweisung, wie es in Deutschland lauten würde. Mit dem Aufbau eines Netzes für DAB+ Übertragungskapazitäten öffnete man sich für Radios, die keine eigene Frequenz haben und "lediglich" meldepflichtig sind, um gemeinsam ein DAB+ Netz zu betreiben. Für die europäischen Nachbarn war das ein vorbildhaftes Modell. Gemeinsam mit der technischen Betreiber-Firma DIGRIS [2] entwarf die UNIKOM das Konzept des Radio-Rat, der die Plätze auf ihrem DAB+ Netz vergibt.
Das Modell war offensichtlich sehr erfolgreich. Es sind so viele neue meldepflichtige Radios hinzugekommen und dem Verband UNIKOM beigetreten, dass sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der UNIKOM umgekehrt haben. Was ein großer Zugewinn für die nicht-gewinnorientierte Radio-Landschaft ist, wurde zum Problem für die komplementären UKW-Radios. In der Presseerklärung wird berichtet: "Die Delegierten der meldepflichtigen Radios haben an der UNIKOM-Mitgliederversammlung Anfang April 2023 mit ihrer Mehrheit sämtliche Vertreter:innen der komplementären Radios aus dem Vorstand abgewählt und alle Anträge aus dem Umfeld der komplementären Radios abgelehnt."
Positionierung zur UKW-Abschaltung
Nach dem Anlass für den Zwist muss man nicht lange suchen [3]: Der Großteil der UNIKOM lobbiert für eine schnelle UKW-Abschaltung, die in der Schweiz zum 31. Dezember 2024 geplant war. Die UNIKOM erklärt in einer Mitteilung am 18. April 2023 "Die UKW-Abschaltung ist existenziell für die zahlreichen in der UNIKOM vereinten DAB+ Radios – solange UKW in Betrieb ist, geht die klassische Radiowerbung in der Schweiz trotz Digitalisierung immer noch ganz überwiegend an UKW-Radioveranstalter und kaum an Digitalradio-Veranstalter." [4] Die komplemtären Radios mit ihren UKW-Lizenzen befürchten dagegen Hörerinnen-Verluste durch die drohende Abschaltung.
Die Mehrheit der komplementären Radios in der UNIKOM geht davon aus, dass sich die Mehrheitsverhältnisse in Zukunft nicht mehr ändern werden. Deshalb erklären Kanal K (Aarau), Radio 3fach (Luzern), Radio Rabe (Bern), Radio Rasa (Schaffhausen), Radio Stadtfilter (Winterthur) und toxic.fm (St. Gallen) zum 30. September 2023 gemeinsam ihren Austritt aus dem Verband. Sie folgen damit Radio X (Basel), das seinen Austritt aus der UNIKOM bereits direkt an der UNIKOM-Mitgliederversammlung im April 2023 bekannt gegeben hat. Die UKW-Radios beabsichtigen sich zusammen mit Radio X neu zu organisieren um ihre Anliegen zu vertreten.
Nur wenige Wochen nach dieser Pressemitteilung hat der Bundesrat entschieden die UKW-Frequenzen in der Schweiz um weitere zwei Jahre zu verlängern [5]. Es wird allgemein erwartetet, dass diese Verlängerung nicht die letzte bleiben wird. Bei der UNIKOM ist man dementsprechend entrüstet. Die Komplementären sind begeistert.
[1] Mehrheit der komplementären Radios treten aus der UNIKOM aus, Radio X, 13.09.2023 https://radiox.ch/news-archiv/austritt-unikom.html
[2] Digris https://www.digris.ch
[3] News in eigener Sache, Radio X, 17.07.2023 https://radiox.ch/news-archiv/news-in-eigener-sache.html
[4] UNIKOM, 28.04.2023 - Radioverband UNIKOM fordert: Keine weitere UKW-Verlängerung! https://unikomradios.ch/wordpress/wp-content/uploads/2023/04/20230418-UNIKOM-Medienmitteilung-UKW.pdf
[5] Der Bundesrat, 25.10.2023 - Letztmalige Verlängerung der UKW-Konzessionen um zwei Jahre, https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98326.html