Offener Brief des Bundesverband Freier Radios (BFR) an die EUP Abgeordneten im ITRE Komittee zur Abstimmung über die Neutralität des Internets.
Sehr geehrte Abgeordnete,
Mit großer Besorgnis verfolgen wir vom Bundesverband Freier Radios die Diskussion über den Gesetzesentwurf der europäischen Kommission zur Netzneutralität.
Heutzutage stellt der Zugang zum Internet eine notwendige Voraussetzung für eine unabhängige Berichterstattung der Medien, für Freie und Community Radios dar. Sei es zur redaktionenellen Recherche und Kommunikation, zum Programmaustausch mit anderen Radiomachenden, zur Verbreitung einzelner Beiträge als Podcast oder zur Weiterverbreitung des Radioprogramms als Internetstream.
Mit seiner Erklärung vom 11.02.2009 „zur Rolle der Medien bei der Förderung des sozialen Zusammenhalts und des interkulturellen Dialogs“ [1] erkennt das Ministerkomitee des Europarats die Bürger- und Alternativmedien (Community Media) als „eigenständige Medien neben den öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Medien“ an. Sie erfüllen „viele Bedürfnisse und Funktionen, die weder gewerbliche noch öffentlich-rechtliche Medien abdecken oder voll und angemessen übernehmen können“, sie "leisten einen Beitrag zur Medienvielfalt" und "fördern den Informationszugang für unterrepräsentierte oder ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, deren Möglichkeiten der Meinungsäußerung und ihre Teilnahme an Entscheidungsprozessen".
Um diesen Beitrag leisten zu können ist der Zugang zum uneingeschränkten Internet unerlässlich.
Der Kommissionsentwurf sollte ursprünglich Netzneutralität sichern, könnte jedoch genau das Gegenteil bedeuten. Verschiedene Bürgerrechtsorganisationen haben am Vorschlag vor allem Folgendes kritisiert:
1. Einführung eines Zwei-Klassen-Internets durch “Spezialdienste” (Artikel 2.15 und Artikel 19)
In der Verordnung soll definiert werden, welche Dienste das offene Internet nutzen und was “Premium-” oder “Spezialdienste“ sind. Die Textentwurf der Kommission ist leider unzureichend definiert und und würde den Telekommunikationsunternehmen erlauben, jeden Dienst als „Spezialdienst“ zu interpretieren und so für jeden Dienst zusätzliche Gebühren zu verlangen. Diese Regelung könnte also zu einem Zwei-Klassen-Internet führen, in dem sich große Konzerne eine Überholspur im Internet kaufen könnten.
2. Internetsperren und Zensur durch die Internetprovider (Artikel 23.5.a)
Zum „angemessenen Verkehrsmanagement“ gehören für die Kommission Maßnahmen, die Provider freiwillig zur Prävention von “schwerem Verbrechen” ergreifen können. Die Unternehmen sollen also die Möglichkeit haben, ohne richterlichen Beschluss Inhalte im Internet zu sperren. Sie könnten darüber entscheiden, welche Inhalte kommuniziert und empfangen werden dürfen – oder welche Beihilfe zu einem “schweren Verbrechen” leisten könnten.Die verdachtsunabhängige Etablierung von Carriern zu Inhaltskontolleuren freier gesellschaftlicher Kommunikation widerspricht jedem Rechtsstaatsprinzip und ist eine völlig inakzeptable Beihilfe zur Beraubung der EU-Bürgerinnen von elementaren Grundrechten.
3. Irreführende “Freiheiten” statt Rechte (Artikel 23)
Die Verordnung erwähnt in vielen Artikeln die “Freiheiten” der Nutzer, obwohl eigentlich von “Rechten” die Rede sein sollte. Verbraucher haben bereits die “Freiheit”, zwischen vielen verwirrenden Tarifen der Internetprovider zu wählen. Die Kommission war da sehr großzügig und möchte diesen Zustand gesetzlich festschreiben – von einem Recht auf uneingeschränkten Internetzugang ist im Entwurf leider kein Wort zu finden.
Der Kritik schließen wir uns an. Wir lehnen deshalb die Definition von jeglichen Premium- oder Spezialdiensten ab, genauso wie Internetsperren und Zensur durch die Internetprovider und das fehlende Recht auf einen uneingschränkten Internetzugang für alle Nutzerinnen und Nutzer. Wir bitten Sie, sich deshalb im ITRE Ausschuss für ein neutrales Internet einzusetzen.
Quellen
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Der Bundesverband Freier Radios (BFR) ist der Zusammenschluss nichtkommerzieller Radios in der Bundesrepublik. Er zählt derzeit 33 Mitglieder. Der BFR ist Mitglied im Community Media Forum Europe, einem europäischen Netzwerk und Expertiengremium für Alternativ- und Bürgermedien und bei AMARC Europe, der europäischen Sektion des Weltverbandes Freier Radios.
Mehr informationen finden Sie auf unserer Website: www.freie-radios.de