Am 25. März 2014 beschloss der Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) über die Neuverteilung der 88vier-Sendezeiten ab 21. Mai 2014. Die vier Freien Radio-Vertreter Colaboradio, Frrapo, Pi Radio und Studio Ansage hatten einen 88vier-unabhängigen Community-Radio-Bereich beantragt. Am 02. April bekamen die Vertreter des Community Bereichs von der mabb folgende Antwort:
- Der Nutzung der 99,1 MHz für Community Radio wurde eine Absage erteilt. Die mabb begründet dies mit Vorgaben der Bundesnetzagentur, räumt allerdings die Möglichkeit kurzfristiger Veranstaltungsradios ein.
- Ein von der 88vier-unabhängiger Community-Radio-Bereich wurde nicht genehmigt.
- Als dritter Punkt wird darauf hingewiesen: "Die Gesetzgeber in Berlin und Brandenburg haben bisher nicht von der Möglichkeit des Rundfunkstaatsvertrages Gebrauch gemacht, eine Ermächtigung zur finanziellen Förderung von Formen des nichtkommerziellen Rundfunks auszusprechen."
Wie nun die Neuverteilung der 88vier ab Mai 2014 aussehen wird? Die mabb hält sich bedeckt, äußert sich dazu lediglich generell: "Da es sowohl im Interesse der Veranstalter als auch der Hörer ist, ein gewisses Maß an Kontinuität zu gewährleisten, wurde das Sendeschema nur geringfügig verändert."
Am Ende des Briefes an Pi Radio wird das Geheimnis gelüftet. Der bisher genehmigte Community Radio Bereich auf 88vier darf fortgeführt werden, und zwar Montag bis Donnerstag 19:00 bis 6:00 Uhr. Die zitierten "geringfügigen Änderungen" beziehen sich nicht auf Community Radio in Berlin-Brandenburg.
Wir halten fest: Die von uns eingebrachten Alternativen und Optimierungsvorschläge zur 88vier wurden vom Medienrat abgelehnt. Die "Erprobung neuer Sendeformen" (MStV §45) dauert an, mittlerweile im Zeichen der Kontinuität. Die nächsten Jahre bedeuten für die Freien Radios in Berlin und Brandenburg weiterhin Stillstand.
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Vor dieser Entscheidung ist in der Februar-Ausgabe der Radiozeitschrift "Transmitter" [pdf] des Freien Sender Kombinat Hamburg ein Artikel erschienen, der die Berlin/Brandenburger Radioverhältnisse zusammenfasst und den wir an dieser Stelle dokumentieren:
Eine verzwickte Angelegenheit: Freie Radios in Berlin-Brandenburg
"Wir wollen endlich ein Freies Radio!" Dieser Ruf ist oft selbst dort noch zu hören, wo längst ein Freies Radio existiert. Anscheinend gehen die Meinungen darüber auseinander, ab wann ein Radio als Freies Radio gilt - so auch in Berlin-Brandenburg. Gesetzlich sind manche Freie Radios als Ausbildungs- oder Medienkompetenzprojekte legitimiert; ihre Legitimation bezieht sich in erster Linie auf die Möglichkeit der Finanzierung. Eine bundesweite Rechtsgrundlage darüber, was "Freies Radio" ist, existiert nicht. Das heißt, Freie Radios definieren sich selbst. Theoretisch kann sich jedes Radio als Freies Radio bezeichnen. In letzter Konsequenz muss sich ein Freies Radio daran messen lassen, ob es auch von anderen Freien Radios als solches anerkannt wird. Grundsätze formulierte der Bundesverband Freier Radios in einer Charta - wenn auch eine Selbstdefinition, so ist diese zumindest im bundesweiten Konsens seiner Mitglieder verfasst worden.
In Berlin schallt der Ruf nach einem Freien Radio seit Ende der 80er Jahre. Eine mediengesetzliche Regelung über die Förderung nichtkommerziellen Rundfunks (unabhängig vom Offenen Kanal) existiert bis heute nicht. Es gab damals "Radio 100", einen links-alternativen privatfinanzierten Hörfunksender aus West-Berlin, der Anfang der 90er abgeschaltet wurde. Bis heute trauern ehemalige Macher und Hörer Radio100 als Berliner Ideal eines Freien Radios nach. Die Wende brachte die Ost-Berliner ins Spiel, deren Ruf nach freier Meinungsäußerung und Selbstorganisation geschichtsbedingt einen anderen Hintergrund aufwies. Bald wurde Piratenfunk modern. Mit dem Techno-Hype kamen die DJ-Radios auf. Die zunehmenden Möglichkeiten des Internets förderten die Heterogenisierung der verschiedenen Gruppen und Interessen.
Die Freien Radioinitiativen begannen sich Mitte der 90er zu organisieren, um Piratenfunk in legale Sendeformen zu überführen. Erschwert wurde dieses Unterfangen durch die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg auf Medienebene. Plötzlich sahen sich die Berliner damit konfrontiert, dass ihr Wunsch nach einem Freien Radio nicht nur vom Berliner Senat, sondern auch vom Brandenburger Landtag abhing. Warum sollten sich Brandenburger Politiker für ein Freies Radio in Berlin einsetzen, wo es in Brandenburg solche "Chaoten" noch nicht einmal gab? Auf rechtlicher Ebene schien der Weg für eine Freie Radio-Frequenz auf lange Sicht verbaut.
Die legalen Bemühungen, dennoch als Freies Radio zu senden, fanden ihren Ausweg in temporären Veranstaltungsfunks seit 2001. Als die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) zur Kenntnis nahm, dass diese Veranstaltungsfunks zunehmend populärer wurden, ihr Offener Kanal hingegen mehr und mehr in die Kritik geriet, eröffnete sie im Mai 2010 den nichtkommerziellen Sendeverbund "88vier" - einen Topf für unliebsame Radiogruppen: Veranstaltungsfunks, die freien Radioinitiativen, die Piraten, die Internet- und DJ-Radios, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle und nicht zuletzt das vom RBB abgeschaltete Radio Multikulti. Sie alle wollten nicht auf dem Offenen Kanal senden, forderten für sich eine eigene Frequenz und wurden nun mit dem Offenen Kanal zusammen in den neuen Topf "88vier - Kreatives Radio für Berlin" geworfen. Noch ein Jahr zuvor hatten sich diese Gruppen beim Veranstaltungsfunk Herbstradio gemeinsam für ein Freies Radio eingesetzt. Nun wurden sie zu Konkurrenten um Sendezeit auf 88vier, ausgestattet mit zwei schlecht zu empfangenen Frequenzen, einem einheitlichen Sounddesign und einer präsentierenden mabb-Koordination - finanzielle Förderung ausgeschlossen.
Seitdem sendet Pi Radio auf 88vier und setzt dort Freies Radio für Berlin-Brandenburg um. 2011 kamen Colaboradio, Studio Ansage und der erste nichtkommerzielle Radiovertreter Brandenburgs, das Freie Radio Potsdam (Frrapo), hinzu. 2012 gestand die mabb den vier Lizenznehmern einen gemeinsam verwalteten Community-Radio-Bereich zu, der sich auf montags bis donnerstags 19:00 Uhr bis zum nächsten Morgen 6:00 Uhr erstreckt - ca. ein Viertel der 88vier-Sendezeit.
Pi Radio arbeitet nach einem Redaktionsstatut, ist aktives Mitglied im Bundesverband Freier Radios sowie im Community Media Forum Europe. Es leistet die Arbeit eines Freien Radios und wird von außen als solches anerkannt. Dennoch fühlt sich das Freie Radio auf 88vier alles andere als "frei". Der Medienrat beschließt mittlerweile alle zwei Jahre über den 88vier-Sendeplan. Bewerben kann sich jeder, gesetzt ist nur der Offene Kanal. Seit 2012 sendet sogar das Hamburger Byte.fm auf 88vier. Wer zu laut seinen Unmut äußert, z.B. über zu wenig Sendezeiten, fehlende gesetzliche Freie-Radio-Regelung oder Feigenblattfunktion der 88vier, dem wird die Sendezeit verkürzt. Wer sich leise verhält, einfach nur seinen Vielfaltsbeitrag abliefert, darf vielleicht die bestehenden Sendezeiten behalten. Finanzielle Förderung oder gar eine eigene Frequenz für Freies Radio in BB wäre erst durch eine Änderung des Medienstaatsvertrages möglich; dafür eine politische Lobby zu gewinnen, entwickelt sich angesichts der 88vier, auf der Freie Radios ja bereits senden können, zu einer verzwickten Angelegenheit.
Am 4. Februar 2014 endet die aktuelle Bewerbungsfrist für 88vier-Sendezeiten. Anschließend wird der Medienrat darüber bestimmen, wieviel Freies Radio es die nächsten zwei Jahre in Berlin-Brandenburg geben soll. Wirklich "frei" ist das Freie Radio in BB insofern nur in einer Beziehung: es kann die 88vier-Sendezeit auch ausschlagen und sich wieder den ewig Rufenden anschließen, die immer noch fordern: "Wir wollen endlich ein freies Radio!" PM