Artikel: "Die Alternative fürs Ohr – freie Radios"
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- Geschrieben von: Medienmagazin
Hallo,
hier ein Artikel, aktuell vom Februar 2014, auf der Seite des Goethe-Instituts:
http://www.goethe.de/wis/med/jou/wan/de12252814.htm
Die Alternative fürs Ohr – freie Radios
Freie Radios bürsten Themen gegen den Strich und spielen bisweilen abseitige Musik. Und sie sind es auch, die jedem Bürger eine Stimme geben können.
Wenn Radio F.R.E.I. aus Erfurt Nachrichten bringt, ist auch das Neueste aus Südkorea, der Slowakei oder Rumänien dabei: Im slowakischen Bratislava ist der Präsident Maltas zu Besuch, in Bukarest verhandeln internationale Finanzexperten über die rumänische Wirtschaftsreform, und in Südkorea herrscht Panik wegen des millionenfachen Diebstahls von Kreditkartendaten. All das sind Meldungen, die in Deutschland kaum im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder bei kommerziellen privaten Radiosendern zu hören gewesen wären. Radio F.R.E.I. gehört jedoch zu den sogenannten freien Radios und hat den Anspruch, genau das zu senden, was nach Ansicht der Macher bei anderen Sendern zu kurz kommt. Freie Radios sind unabhängige, nicht-kommerzielle Medien. Ihre Bandbreite ist in Deutschland inzwischen groß. Was sie eint, ist ihr kämpferischer, gesellschaftskritischer Ansatz. Basisdemokratisch organisiert, betreiben engagierte Radioaktivisten nicht auf Profit ausgerichteten Rundfunk, bei dem alle mitmachen können. So findet beim Freien Rundfunk Erfurt International – kurz Radio F.R.E.I. – immer montags die Redaktionssitzung statt, um das Programm für die laufende Woche zu besprechen. Einen Chefredakteur gibt es nicht, stattdessen arbeiten die einzelnen Redaktionen eigenverantwortlich, müssen sich anschließend aber der möglichen Kritik des Plenums stellen. „Bei uns wird viel diskutiert“, bringt es Carsten Rose auf den Punkt, der Radio F.R.E.I. 1990 zusammen mit Freunden gegründet hat.
Engagierte Bürger gestalten das Programm
Es war die Zeit kurz vor und nach dem Mauerfall. „Damals war plötzlich alles möglich“, erinnert sich Rose. „Das Alte war zusammengebrochen und das Neue noch im Werden.“ Für ihn und seine Mitstreiter war klar, dass eine Alternative zum DDR-Rundfunk entstehen musste. „Irgendjemand hatte mit einem Aufnahmegerät auf den politischen Demonstrationen Interviews geführt“, erzählt Rose. Das müsste man doch senden können, so die erste Idee. Inspiriert vom Sender einer französischen Kooperative ging Radio F.R.E.I. am 6. Oktober 1990 auf Sendung, kurz vor den ersten Landtagswahlen nach dem Systemumbruch. Der Anspruch: „Radio für die Menschen zu machen, die zuvor auf die Straße gegangen waren.“ Zu dieser Zeit sendete Radio F.R.E.I. noch ohne Lizenz und galt als sogenannter Piratensender.
Rund 100 Ehrenamtliche feilen inzwischen regelmäßig am Programm von Radio F.R.E.I., das jede Woche insgesamt 74 Stunden on air ist. „Das Programm ist immer so wie die Leute, die es gerade machen“, erklärt Radioaktivist Rose, der inzwischen der Geschäftsführer des dazugehörigen Vereins ist. Grüner wird’s nicht heißt beispielsweise das Umweltmagazin, Wir mischen uns ein die globalisierungskritische Sendung und Studio Buttertoast die Jugendredaktion. Dass keine Profis am Werk sind, ist dem Programm durchaus anzuhören, doch es geht gerade auch darum, dass alle mitmachen können.
Sendungen auf Türkisch oder Rumänisch
Vergrößern Was heute die freien Radios sind, waren früher die sogenannten Piratensender. Als einer der Pioniere der Szene gilt Radio Dreyeckland aus Freiburg: Ohne Genehmigung ging Dreyeckland 1977 auf Sendung, um die Aktivisten der Anti-Atomkraft-Bewegung zu vernetzen. „Das war zu einem Zeitpunkt, als das Thema im öffentlich-rechtlichen Rundfunk praktisch noch nicht stattfand“, betont Jochen Lüttich vom Bundesverband der freien Radios. Und genau das ist bis heute der Anspruch: „Bei uns kommen Gruppen und politische Positionen zu Wort, die sonst wenig Gehör finden“, sagt Lüttich. So gibt es beim Nürnberger Radio Z gleich mehrere internationale Redaktionen – von der türkischen über die rumänische bis hin zur lateinamerikanischen Redaktion. In 14 Sendungen machen hier Menschen mit Migrationshintergrund Programm – und zwar auch in ihrer Muttersprache.
Freie Radios haben ein weitgefasstes Programmspektrum: Interviews können bisweilen bis zu einer halben Stunde dauern, und am Sonntagnachmittag läuft auch mal ein Heavy-Metal-Spezial. „Wir sind kein Einschaltradio“, betont Lüttich und meint damit, dass sie mit Hörgewohnheiten brechen und sich jeder je nach Interesse seine Sendungen aus dem Programm picken muss.
Die Länder entscheiden über die Sendelizenzen
Um in den 1970er-Jahren überhaupt senden zu können, mussten die Macher von Radio Dreyeckland noch freie Frequenzen kapern und riskierten damit bis zu fünf Jahre Haft. Erst als 1984 das staatliche Rundfunkmonopol aufbrach, ermöglichten die neu entstehenden Landesmediengesetze, Lizenzen nicht nur an private, sondern auch an freie Radios zu vergeben. Inzwischen vereinigt der 1993 gegründete Bundesverband 30 freie Radios aus 13 Bundesländern. Die rechtlichen Regelungen für die privaten nicht-kommerziellen Radios sind in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich. Während in Bayern freie Radios keine öffentliche Förderung erhalten, unterstützt die Landesmedienanstalt in Thüringen die Arbeit von Radio F.R.E.I. aktuell mit jährlich rund 70.000 Euro.
Dabei hatte Radio F.R.E.I. gleich zu Beginn seiner Geschichte einen herben Rückschlag zu verkraften, denn nach nur sechs Monaten stürmte die Polizei die Redaktionsräume und stoppte den Sendebetrieb. Die Radioaktivisten verfügten schlichtweg über keine Sendeerlaubnis. Erst 1999 – nach der Novellierung des Thüringer Privatrundfunkgesetzes – erhielten die Radioaktivisten die Lizenz zum Senden und haben sie bis heute.
Ute Zauft ist freie Journalistin in Berlin und arbeitet für Online und Hörfunk zu Themen aus Gesellschaft, Kultur und Osteuropa.